Cannabisfreigabe: »Chancen und Risiken«
Bundestagsgremium diskutiert Cannabisfreigabe
Auf einen Antrag der FDP hin wurde am Montag, den 21. Juni 2021, eine Anhörung des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) abgehalten.
Der FPD-Vorschlag beinhaltet die Freigabe von Cannabis(-produkten) für Erwachsene. THC-Grenzwerte für solches Cannabis sollen dann mithilfe wissenschaftlicher Grundlagen gesetzlich festgelegt werden. Als zulässige Menge für den Eigengebrauch schlug die gelbe Fraktion 15 Gramm vor, es solle außerdem eine Steuer auf Cannabis(-produkte) erhoben werden.
Auf der Sachverständigenliste dieser 177. Sitzung des Gesundheitsausschusses standen neben zahlreichen Bundesämtern (z.B. Bundesärztekammer, Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände usw.) u.a. Professor Dr. Heino Stöver vom nonprohibitionistischen Verein akzept e.V. und Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband. Beide sprachen sich für eine Freigabe aus und stellten außerdem kritische Fragen zum Antrag der FDP. So warf Cannabisaktivist Wurth die Frage auf:
»(…) Ich persönlich frage mich, wofür man überhaupt eine Besitzobergrenze braucht. Die haben wir bei Alkohol so auch nicht beziehungsweise höchstens, wenn man Alkohol Lkw-weise durch die Gegend fährt und dann der Verdacht von Handel sehr naheliegt. Aber ansonsten halte ich eine Obergrenze nicht unbedingt für geboten, insbesondere wenn man die hier schon mehrfach genannten Möglichkeiten in Betracht zieht, den Preis so zu gestalten, dass er nahe am Schwarzmarktpreis ist, sodass sich ein Weiterverkauf aus den legalen Shops im Schwarzmarkt nicht lohnt. Dann muss man auch keine illegalen Handelsaktivitäten unterbinden, indem man unterbindet, dass Leute auch mal 50 oder 100 Gramm dabeihaben. Ich sehe allerdings auch keine große Notwendigkeit, mit Riesenmengen her-umzulaufen, wenn man als Konsument in Läden eine regelmäßige Bezugsmöglichkeit hat (…)«.
Georg Wurth auf der 177. Sitzung des Gesundheitsausschusses
Dass ausgerechnet die kapitalistisch orientierte FDP einen solchen Antrag stellt, dürfte bei manchen für einiges an Verwunderung sorgen. Es beweist allerdings einmal mehr, dass die Debatte um eine Cannabisentkriminalisierung bzw -legalisierung mittlerweile eine breite (auch politische) Öffentlichkeit erreicht hat. Dr. Heino Stöver stellte deshalb in seinem ersten Statement fest:
»Ich denke, die Gedanken um eine legale Zugänglichkeit zu Cannabis, diese Debatte ist überfällig, muss differenzierter, präziser geführt werden. Wir müssen mehr lernen aus Entwicklungen und Modellen, die woanders stattfinden. (…) Aktuell (…) merken wir, dass alle Fraktionen – außer CDU/CSU und AfD – im Bundestag Veränderungsbereitschaft signalisiert haben, Modelle vorgelegt haben. Bündnis 90/Die Grünen mit dem Cannabis-Kontrollgesetz sozusagen am weitesten gegangen sind, auch in der detailgenauen Ausarbeitung eines solchen Gesetzes, was sicherlich noch immer handwerklich feines Brushing braucht, aber es ist schon ziemlich weitgehend. Insofern denke ich, das was wir jetzt gerade machen, zum dritten Mal in diesem Jahr, (…) spiegelt wider die gesamtgesellschaftliche Diskussion. Wir sehen, dass mittlerweile eine Mehrheit der Bevölkerung für eine Veränderung des Zugangs ist. Und insofern spiegelt sich in der parlamentarischen Diskussion das wider, was in der Gesellschaft aktuell sowieso läuft. Ich bin sehr dankbar und sehr froh darüber, dass wir uns gemeinsam Gedanken machen, wie das zukünftig auszusehen hat. Und ich glaube, wir sind uns alle einig, dass der Konsum, soweit wie möglich reduziert, kontrolliert werden muss, dass wir Jugendliche und Heranwachsende schützen müssen und das wir alles Mögliche tun müssen, um die Lehren aus Alkohol und Tabak produktiv und proaktiv umzusetzen«.
Professor Heino Stöver auf der 177. Sitzung des Gesundheitsausschusses
Auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), vertreten von Dr. Peter Raiser, äußerte sich ablehnend gegenüber der ihrer Meinung nach «gescheiterten Repressionspolitik»:
»Das Verbot geht ja von der Annahme aus, dass allein durch die Androhung der Strafverfolgung und des Verbots eine präventive Wirkung entfacht wird und dass durch dieses Verbot weniger Menschen konsumieren und dass weniger Gesundheitsschäden entstehen. Das ist – glaube ich – schon in dem wegweisenden Bundesverfassungsurteil 1994 auch angemahnt worden, dass diese Verbotssystematik und diese präventive Wirkung der Verbotssystematik nicht wissenschaftlich belegt ist. Solche Belege stehen bis heute aus. (…) Wir wissen tatsächlich nicht, ob durch die Strafandrohung, Strafverfolgung und Bestrafung von Konsumierenden tatsächlich weniger Menschen konsumieren und weniger Gesundheitsschäden entstehen. Wir wissen auf der anderen Seite, dass dadurch weitere Probleme überhaupt erst entstehen. Und wenn man (…) sich noch vor Augen führt, dass wir für die Strafverfolgung einen enormen Aufwand betreiben und enorme Ressourcen der Polizei und auch finanzielle Ressourcen investieren, müsste man sich die Frage stellen, ob man nicht andere Wege finden könnte, die das Ziel erreichen, nämlich dass wir weniger gesundheitliche Schäden durch den Konsum erleiden und dass vor allen Dingen nur dort, wo der Konsum dennoch vorkommt, dieser auch mit weniger Risiken verbunden ist.«
Dr. Peter Raiser auf der 177. Sitzung des Gesundheitsausschusses
Das Wortprotokoll der 177. Sitzung dokumentiert die Anhörung und kann im PDF-Format heruntergeladen werden.