Koka, Krimi und Kartelle
Ein kleiner Einblick in das kokainreichste Land der Welt: Kolumbien
«Kolumbien hat eine vom Militär und der Polizei betriebene Drogenpolitik, die bis in die 1980er Jahre zurückreicht, als der Drogenhandel die mächtige Waffe der Kartelle war. Kolumbiens erste Reaktion – und auch die Reaktion der internationalen Gemeinschaft – war, einen Krieg gegen Drogen zu beginnen. (…) Diese Politik hat sich seit den 1980er Jahren nicht geändert.»
Grünen-Politiker Iván Marandula im Gespräch mit dem VICE Magazine [3]
Kriminelle Machenschaften
Um dem Anbau von Koka, Schlafmohn und Hanf im eigenen Land Herr zu werden, besprüht die Polizei der Republik Kolumbiens Anbaufelder mit dem Breitbandherbizid Roundup, das ehemals von der US-amerikanischen Firma Monsanto vertrieben wurde. 2016 kaufte das Chemieunternehmen Bayer den US-Betrieb auf, weswegen das Pflanzenvernichtungsmittel seither in Hand des in Leverkusen ansässigen Pharmakonzerns ist. Diese Besprühungen erweisen sich nicht nur als gefährlich für Pflanzen, sondern auch für Tiere und Menschen: Bürger aus kontaminierten Regionen berichten von Brechreiz und Augenbrennen, Krankenhäuser verzeichnen höhere Patientenzahlen, wenn wieder einmal der Polizei-Jet seine Bahnen in der Region gezogen hat. Monatelange Arbeit hunderter Bauern, – mit der chemischen Keule innerhalb von wenigen Minuten komplett hinweggefegt. [1]
Eine antiprohibitionistische Wende scheint seit Dekaden dringend nötig in der Koka-Hochburg Kolumbien, denn verbrecherische, menschenverachtende, blutdürstende sowie machthungrige Kartelle und Mafiosi haben die Politik- und Wirtschaftslage Kolumbiens seit Anfang der frühen 80er Jahre fest im Griff. Drogenbaron Pablo Escobar (u.a. auch “El Doctor” oder “Don Pablo” genannt) entwickelte sein aus zahlreichen Untergruppen bestehendes Medellín-Kartell (benannt nach der Hauptstadt des Departamento de Antioquia) zum weltweit größten Kokain-Exporteur. Das machte ihn zu einem der reichsten Menschen seiner Zeit. Obwohl Escobar 1993 von amerikanisch-kolumbianischen Spezialeinheiten erschossen wurde, bleiben seine kolumbianische Schwarzmarktdominanz und die von ihm mitaufgebauten kriminellen Strukturen nicht nur unter kolumbianischen Gangstern eine mit Nostalgie beäugte Reminiszenz: Bis heute leiden Menschen in der südamerikanischen Nation unter dem ständigen Krieg zwischen Polizei und mafiösen Gruppierungen. So drangen z.B. erst kürzlich, August 2020, Berichte von drogenkriegsbefeuerten Morden an insgesamt 17 Menschen aus Kolumbien nach Deutschland. [2]
Aus dem Drogenhandel erwuchsen auch politische Machtkämpfe. Beispielsweise führt die linksrevolutionäre Gruppierung Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo (dt.: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee, kurz: FARC-EP) seit den späten 60er Jahren einen durch diverse kriminelle Umtriebe finanzierten Guerillakrieg gegen die präsidial geführte Regierung Kolumbiens sowie gegen rechtsgerichtete Kartelle und Zusamenschlüsse. Neben Drogenschmuggel bzw. -handel gehören zu den Finanzierungsmethoden der FARC-EP auch Entführung, Erpressungen jeglicher Coleur sowie Goldabtragungen. Auch Zivilisten wurden bereits Opfer geplanter FARC-Aktionen.
Es darf nicht vergessen werden: Bei allen Abscheulichkeiten, die sowohl von Staat als auch von illegalen Kartellen begangen werden – in diesem sogenannten “War on Drugs” – bleibt das Elend Tausender Zivilistinnen und Zivilisten, die unter diesem Krieg – gerade in vielen südamerikanischen Gebieten – immens zu leiden haben, stets ein Kriterium, das man naiverweise nur allzugerne aus verpolitisierten Diskursen auszublenden pflegt.
Neue drogenpolitische Wege und Ideen in Kolumbien
Wie Lucy am 4. Dezember 2020 bereits berichtete, verfolgt ein kolumbianischer Grünen-Politiker namens Iván Marulanda momentan ein ehrenhaftes und hehres Ziel: Er möchte dem Kongress einen Gesetzesentwurf vorlegen, der beantragt, dass der kolumbianische Staat die gesamte Koka-Ernte aufkauft. «Es kostet weniger, die Ernte zu kaufen, als sie zu vernichten.», meint Marulanda zu seiner Idee. Er ist der festen Überzeugung: «Mit dieser Intervention der Regierung würden zwei grundlegende Dinge geschehen: Erstens würden 200.000 Familien in eine Rechtssphäre gebracht, in der sie nicht mehr vom Staat verfolgt würden. […] Zweitens vernichtet Kolumbien pro Jahr rund 300.000 Hektar Wald. Man schätzt, dass die Koka-Bauernfamilien für 25 Prozent dieser jährlichen Entwaldung verantwortlich sind.»
Sollte der Kongress dem Gesetzesvorschlag zustimmen, wäre die Koka-Industrie in Kolumbien de facto entkriminalisiert und in den Händen des Staates statt des Schwarzmarktes. Die teilweise stigmatisierten indigenen Einwohner, die der Koka-Pflanze sehr nahestehen, bekämen laut Marulanda rohes Pflanzenmaterial zugeliefert, um Kulturprodukte daraus herstellen und ihren produktiv-zivilisatorischen Bedürfnissen nachgehen zu können, ohne dabei dauerhaft von Staat oder kriminellen Organisationen schikaniert werden zu müssen. Angedacht ist außerdem eine staatliche Genehmigung für Apotheken, Koka und seine Derivate an “körperlich und geistig Geeignete” gar zum rekreativen Gebrauch verabreichen. Forschung und Wissenschaft würden ebenfalls von einer Legalisierung profitieren. [3]
Kokain im deutschsprachigen Raum
“Schnee”, wie man Kokain in Szenekreisen gerne zu nennen pflegt, kommt überwiegend aus den südamerikanischen Staaten Bolivien, Peru und Kolumbien, wobei letzterer für seine größte Kokainbewirtschaftung und -produktion der Welt bekannt ist. Kokslieferungen, die in der Schweiz und Deutschland auf dem Schwarzmarkt verkauft werden sollen, finden ihren Weg nach Mitteleuropa überwiegend von Häfen in Rotterdam und Antwerpen aus. In den niederländischen Küstenstädten konnte man 2017 noch insgesamt 46 Tonnen südamerikanischen Kokains sicherstellen, im Folgejahr 2018 rekordverdächtige 70 Tonnen der pudrigen Droge. Auswirkungen auf Preis oder weitere illegale Lieferungen zeigten diese Beschlagnahmungen allerdings nicht. [4]
Hans Cousto beschrieb in seinem drogerie-Blog (taz) im Jahr 2019 die Entwicklung des Kokainkurses in Deutschland und der Schweiz als äußerst positiv. Dabei bezieht er sich auf die Ergebnisse der Jahresberichte, welche die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) angefertigt hatte.
Gemäß dieser Auswertungen nahm die Reinheit von Kokain in der Schweiz sowie in Deutschland deutlich zu: Im Jahr 2000 beinhalteten Pulver, die man in Deutschland auf der Straße als “Kokain” verkauft bekam, im Durschnitt lediglich 35,5 Prozent reines Koka, während ab 2012 die Zahlen zu explodieren scheinen – von 37,6 Prozent im Vorjahr 2011 auf 56,8 Prozent. 2018 lag der Durchschnittsgehalt reinen Kokas in “Straßenkokain” laut DBDD in der Schweiz bei 77,8 Prozent, in Deutschland bei glatten 77 Prozent. [5]
Quellen:
[1] Lateinamerika Nachrichten: Die Politk der verbrannten Erde
[2] Zeit: Serie an Massakern erschüttert Kolumbien
[3] VICE: Colombia Is Considering Legalizing Its Massive Cocaine Industry
[4] taz (Hans Coustos drogerie): Stabile Kokainpreise
[5] DBDD: Jahresberichte
Mirko Berger