LSD und „Modellpsychosen“?
Neue Studie publiziert
Seit etwa einem Jahrhundert werden Psychedelika als Substanzen untersucht, die potenziell eine „Modellpsychose“ zu induzieren geeignet sind und sich nutzen lassen, um therapeutische Modelle zur Behandlung von Depressionen, Angstzuständen und Substanzkonsumstörungen zu definieren sowie phänomenologische Ähnlichkeiten mit psychotischen Erfahrungen aufzuzeigen.
Ziel einer neuen Studie war u.a., diese paradoxe Beziehung zu erforschen, die Schlüsselparameter des psychotischen Erlebens, der Psychotherapie und der psychedelischen Erfahrung verbindet.
In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Crossover-Design-Studie erhielten 24 gesunde Probanden 50 μg d-Lysergsäurediethylamid (LSD) bzw. ein inaktives Placebo. Das psychotische Erleben, das therapeutische Potenzial und die psychedelische Erfahrung wurden durch diverse Fragebögen erfasst, Zusammenhänge zwischen LSD-induzierten Effekten wurden untersucht.
LSD-induzierte psychedelische Erfahrungen, so unter anderem Bewusstseinsveränderung, mystische Erfahrungen und Ich-Auflösung, erhöhten die aberrante Salienz (Salienz = Auffälligkeit bezogen auf Reize, die aus ihrem Kontext hervorgehoben werden; aberrant = abweichend, falsch verlaufend) und die Suggestibilität, nicht aber die Achtsamkeit der Probanden. Die Autoren schreiben: „LSD-induzierte aberrante Salienz korrelierte hoch mit komplexer Bildsprache, mystischen Erfahrungen und Ich-Auflösung. LSD-induzierte Suggestibilität korrelierte mit keinen anderen Effekten. Individuelle Veränderungen der Achtsamkeit korrelierten mit Aspekten der aberranten Salienz und der psychedelischen Erfahrung“.
Was ist aberrante Salienz? Eine andere Studie, die sich mit der Entstehung bzw. Phänomenologie von schizophrenen Psychosen in Verbindung mit Dopamin befasste, erklärt: „Eine zentrale Rolle von Dopamin ist es, die „Salienz“ von Umweltereignissen und internen Repräsentationen zu vermitteln. Es wird vorgeschlagen, dass ein dysregulierter, hyperdopaminerger Zustand auf der zerebralen Ebene der Beschreibung und Analyse zu einer aberranten Zuweisung von Salienz zu den Elementen der eigenen Erfahrung auf der Verstandes-Ebene führt. Wahnvorstellungen sind kognitive Versuche betroffener Patienten, diesen aberrant salienten Erfahrungen einen Sinn zu geben, während Halluzinationen eine direkte Erfahrung der aberranten Salienz der internen Repräsentationen widerspiegeln. Antipsychotika ‚dämpfen die Salienz‘ dieser abnormalen Erfahrungen und ermöglichen dadurch die Auflösung der Symptome. Die Antipsychotika löschen die Symptome nicht aus, sondern bieten die Plattform für einen Prozess der psychologischen Auflösung. Wird die antipsychotische Behandlung jedoch abgesetzt, kehrt die dysregulierte Neurochemie zurück, die schlummernden Ideen und Erfahrungen werden wieder mit aberranter Salienz belegt, und es kommt zu einem Rückfall“ (Kapur 2003). |
Die LSD-Erfahrung kann, so das Ergebnis der Untersuchung, unter Umständen einem psychotischen Zustand ähneln – und ein Werkzeug zur Heilung darstellen. Die Forscher schlussfolgern: „Das Bindeglied zwischen Psychosemodell und therapeutischem Modell scheint in mystischen Erfahrungen zu liegen. Die Ergebnisse (…) deuten darauf hin, dass die psychedelisch-unterstützte Therapie von therapeutischen Anregungen profitieren könnte, die mystische Erfahrungen fördern“.
Studie: Wießner, I., Falchi, M., Palhano-Fontes, F., Feilding, A., Ribeiro, S., Tófoli, L. (2021). „LSD, madness and healing: Mystical experiences as possible link between psychosis model and therapy model“, Psychological Medicine 1-15. doi:10.1017/S0033291721002531
Zitierte Literatur:
Kapur S. (2003). „Psychosis as a state of aberrant salience: a framework linking biology, phenomenology, and pharmacology in schizophrenia“, Am J Psychiatry. 160(1): 13-23. doi: 10.1176/appi.ajp.160.1.13. PMID: 12505794.