Milkdrop: Psychedelische Musikvisualisierung

Milkdrop mit dem Preset "Unchained - Making a science of it"

Milkdrop: Psychedelische Musikvisualisierung

Legendäres Winamp-Plugin wurde vor 19 Jahren veröffentlicht

Wer zu Beginn der 2000er (oder früher) bereits PC-Besitzer war, hat eine gänzlich andere Ära der digitalen Welt erlebt; Youtube, Facebook und Konsorten waren noch lange nicht gegründet und Heimcomputer (der ‚Nicht-Nerds‘) liefen mit dem damals noch brandneuen „Windows XP“ (2001).

Damals waren Internetverbindungen noch wesentlich langsamer – verbunden über 56k-Modem oder ISDN – konnte noch kein Echtzeitstreaming geschaut oder per Videotelefonie mit Freunden in aller Welt gequatscht werden (dafür waren Chats über IRC und ICQ sehr beliebt).

Doch durch die zügige Verbreitung der MP3-Technologie, die es ermöglichte, Musikstücke auf wenige Megabytes zu komprimieren, wurde es möglich, große Musiksammlungen anzulegen und auch über Tauschbörsen wie Napster, eMule usw. zu verteilen.

Ein beliebtes Programm zur MP3-Wiedergabe war zu dieser Zeit das 1997 veröffentlichte Winamp. Bestehend aus einem Kontrollfenster, einem Equalizer und einer Wiedergabeliste, waren Fans der digitalen Musik mit allem ausgerüstet, was sie brauchten, um ihre heruntergeladene Musik zu genießen.

Am 5. November 2001 wurde das von Ryan Geiss entwickelte “Milkdrop” als Visualisierungsplugin für Winamp ausgeliefert, dass die meisten User aufgrund seiner Neuartigkeit recht sprachlos hinterließ.

Waren vormals eher rudimentäre Veränderungen der Wellenform der Standard, so eröffnete das mittlerweile legendäre Programm neue visuelle Dimensionen. Unter Potheads, PC-Freaks und Künstlern aller Couleur wurde das Programm zum Mittel der Wahl, wenn es um visuelle Untermalung von abendlichen Partyrunden ging.

Mittels des Grafikprozessors absolviert Milkdrop komplexe Berechnungen, die aus der Musik (in Echtzeit) fantastische Bildwelten erschaffen. Hunderte sogenannte Presets wechseln sich dabei ab und erzeugen verschiedene visuelle Grundstimmungen, die durch die Soundcharakteristik der gewählten Musikstücke individuell verändert werden.

Es dauerte nicht lange, bis sich eine Szene von psychedelischen Nerds formierte, die ihre eigenen Presets (.milk Dateien) entwickelte, remixte und über das Internet austauschte.

Jim Nielson, Autor beim Blog „Futureartnow.org“, beschreibt Milkdrop in passenden Worten:

»Dieses Meisterwerk, das im Grunde als psychedelisch-fraktale ‘Lichtshow’ zur Begleitung der Audioausgabe eines Mediaplayers erstellt wurde, wurde zur erweiterbaren Plattform, die andere Entwickler zur Erstellung eigener Kunstwerke verwenden können.

Die Ergebnisse können spektakulär schön sein (nicht nur, wenn man high ist!), [man kann] durch lebendige Gemälde schwimmen, für die ein abstrakter Künstler töten würde … Jedoch reist man mit der Geschwindigkeit und Vergänglichkeit der Gedanken … Es ist hinreißend, triumphal, verstörend oder einfach nur trippy, und dann – für immer verschwunden.«

Milkdrop ist bis heute beliebt unter Musikfans, Psychonaut:innen und Künstler:innen, so dass in einschlägigen Foren und Subreddits immer wieder verschiedene Preset-Packs erstellt und getauscht weurden. Darunter beispielsweise das sogenannte BLTC-Pack (Better Life Through Chemistry), Tryptopnaut Milkdrop Pack und Nestdrop.

Mittlerweile existiert Milkdrop2 als eigenständiges Programm, das unter einer Open-Source-Lizenz steht und deshalb in vielen weiteren Audioplayern eingesetzt wird. Als Weiterentwicklung für Linux und Mac ist Milkdrop als „projectM“ verfügbar, so dass heute alle in den Geschmack der herausragenden Visualisierung kommen können.

Dirk Netter