herman de vries wird 90!

herman de vries wird 90!

Psychonaut und Künstler feiert Ehrentag

herman de vries mit der Tollkirsche Atropa belladonna. Foto: Claudia Müller-Ebeling

HAPPY BIRTHDAY, lieber herman de vries!

Der «weise Psychonaut vom Steigerwald», herman de vries, ist ein Künstler von Weltrang, Bewusstseinsforscher, Ethnobotaniker und Schriftsteller. Am 11. Juli 2021 feiert er bereits seinen 90. Geburtstag.

herman de vries, geboren am 11. Juli 1931 im niederländischen Alkmaar, lebt seit nahezu 50 Jahren in Unterfranken. Seinen Namen schreibt er grundsätzlich in Kleinbuchstaben, um von ihm verabscheute Hierachien zu vermeiden – ebenso wie all seine Texte.

herman de vries ist seit jeher fasziniert von der Natur, die er auch zum Hauptgegenstand seines künstlerischen Schaffens macht. Der ursprünglich zum Landschaftsgärtner ausgebildete Künstler verwendet für seine Werke fast ausschließlich natürliche Materialen wie Blattwerk, Steine oder Erdproben aus allen Teilen der Welt:

natur ist sich selber genug und soll dem menschen auch genug sein. was wir von der natur noch um uns finden können (ich sage bewusst nicht «haben»), hat keine menschlichen zufügungen nötig. sie ist sich selbst – und für uns eine offenbarung …
(herman de vries, zitiert nach: Müller-Ebeling 2016)

War er früher noch ein mittelloser Kreativer, seine Werke wurden dennoch bereits 1962 ausgestellt, so ist herman de vries heute eine hochgehandelte Figur im internationalen Kunstbetrieb. Museen, Galerien und Sammler in aller Welt reißen sich um seine Werke. Neben seiner langjährigen Sekretärin Marion Reissner steht auch eine Fotografin auf seiner Gehaltsliste.

Nicht nur die Kunst, sondern auch psychonautische wie auch ethnobotanische Literatur gehört zu seinen Leidenschaften:

In den Ausstellungen zu «natural relations: die marokkanische Sammlung» (das von der niederländischen Regierung mitfinanziert wurde), sowie «natural relations – eine skizze» (1984) wurden 2000 Pflanzen bzw. Pflanzenteile präsentiert, «denen eine heilende oder geistbewegende Wirkung zugeschrieben wird». Die Arbeit an diesem Projekt – inklusive ausgedehnter Forschungsreisen – beschäftigte herman de vries für sieben volle Jahre.

Die zugehörigen Kompendien, welche seine ethnobotanischen Erkenntnisse dieser Jahre enthalten, umfassen knapp 800 Seiten und bieten «eine Fundgrube obskurer und schwer zugänglicher Informationen; insbesondere in Bezug auf Ayahuasca-Analoge und die Steppenraute Peganum harmala» (Müller-Ebeling 2016).

Anfang der 1990er Jahre war herman de vries gemeinsam mit Wolfgang Bauer Herausgeber des psychonautischen Magazins «integration – zeitschrift für geistbewegende pflanzen und kultur», von dem sechs Ausgaben in fünf Bänden erschienen. Die Publikation beschäftigte sich in englischen und deutschen Artikeln u.a. mit Bewusstseinszuständen, Ethnobotanik und -pharmakologie sowie weiteren Themenfeldern der Drogenforschung und Ethnologie.

V.l. Susanne de vries, Katja Redemann-Bauer, herman de vries und Albert Hofmann auf der Rittimatte. Foto: Wolfgang Bauer

meine poesie ist die welt
ich schreibe sie jeden tag
ich schreibe sie jeden tag neu
ich sehe sie jeden tag
ich lese sie jeden tag
ich esse sie jeden tag
ich schlafe sie jeden tag

die welt ist meine chance
sie ändert mich jeden tag
meine chance ist meine poesie

herman de vries, 1972 (u.a. in: aus der wirklichkeit, seite 6)

herman de vries lebt mit seiner Frau Susanne in seiner Wahlheimat Eschenau. Sein eigentlicher Schaffensbereich liegt im nahen Steigerwald, in dem er früher regelmäßig etliche Kilometer lange Spaziergänge absolvierte.

Auf lange Märsche muss de vries aus gesundheitlichen Gründen verzichten, gelegentliche Nacktspaziergänge – des unmittelbaren Naturerlebnisses wegen – sind trotzdem kein seltener Anblick für seine Nachbarn.

Das Team des Nachtschatten Verlags wünscht herman de vries alles erdenklich Gute zum 90. Geburtstag!

Auf viele weitere kreative und berauschende Jahre!

Frühes unveröffentlichtes Foto, aufgenommen um die Jahrtausendwende; v.l. Roger Liggenstorfer, Jochen Gartz, Wolfgang Bauer und herman de vries. Foto: Wolfgang Bauer

Zur Website von herman de vries

 

herman de vries

unterwegs.

(Abschrift des original handschriftlichen Faksimiles; aus: Markus Berger, Roger Liggenstorfer und Christian Rätsch: Psychedelische Tomaten, Nachtschatten Verlag 2016)

im sommer 1969 fuhren wir mit einem kleinen schiff als zwei der sechzehn passagiere von tunis nach marsala auf sizilien. es war uns nicht gelungen, im hochsommer per anhalter die sahara zu durchqueren, weil es wegen der hitze kaum noch verkehr über die piste gab. der kapitän lud uns zum fernsehen ein: die erste mondreise amerikanischer astronauten war zu sehen. das schiff blieb ein tag vor der reede von pantelleria liegen „belle, molto belle – but you cannot get off!“ abends bei der weiterfahrt wurden uns von ein paar mitreisenden „hash-cookees aus marokko“ angeboten: sie wollten sie nicht durch den zoll mitnehmen. alle, meist junge, passagiere assen eine portion. nach einer knappen stunde fing die wirkung an. die meisten verkrochen sich in ihre kojen, wir blieben auf einer bank an deck. das meer war ruhig, aber welch ein rauschen! der motor des schiffs stampfte wie ein überanstrengtes herz durch unsere köpfe – oder war es unser herz? es wurde lauter und lauter. im dunklen nur noch das rauschen des meers – oder war es unser blut und das riesenherz bum bum bum bum. ich wollte pissen gehen, aber p., die unter allen umständen auf der reise selbständig und cool geblieben war, griff meine hand. sie hatte angst, ich sollte bleiben. ich wollte nur pissen und mich hinlegen und auch hingeben an diesen fremden zustand. sie hielt mich fest und ich fühlte mich für das erste mal auf dieser reise als eine art schutzmacht. aber wie schwer bum bum bum sie wollte auch nicht weg, war da an ihrem platz wie gebunden, ich hielt ihre hand und pisste über die reeling ins meer. sie zog mich zurück, hatte eine alles bannende angst bum bum bum endlich nach langer zeit viele stunden? bekam ich sie in ihre koje und legte mich auch hin und dann ging es los: rote feurige wellen schlugen auch mich und über mich hin, dann schlängelten sie sich rot orange gelb neben einander auf mich zu und verschwanden in ein unsichtbares loch direkt vor meinem körper darin war geschrieben! es war wie eine offenbarung in einer fremden schrift konnte es trotzdem lesen und staunte und staunte war begeistert wollte den inhalt behalten musste es meinen freunden erzählen wichtig oh ja! ach so! so ist das ja! ah! ohh! aber es ging weiterkonnte es nicht festhalten es rollte sich ab ein schrecklicher prozess ein wunderbares geschehen liess es geschehen nicht mehr zu beschreiben lyrisch? landschaft? mehr als ich! ich?

am nächsten tag war meine sprache dahin. konnte kein wort äussern. die anderen schauten mich stumm an. so ging es ihnen auch. es gab nichts mehr zu erzählen. wir wussten alle dass es uns geschehen war und sassen stumm und müde zusammen. innen – weil es zu hell war draussen – zu mächtig.

drei jahre später verkaufte ein liebenswerter alter mann uns, susanne und mir, in marrakesch eine portion majun’. „nicht zu viel, nicht zu wenig, aber nicht mehr als so“ und er deutete mit seinem finger die menge an. es sah aus wie die substanz damals auf dem schiff – von tunis nach marsala. wir nahmen es zusammen und legten uns hin, wie er uns geraten hat. es kam nach einer knappen stunde und war wie eine heisse kraft. nach vier stunden war es wieder vorbei. es hatte so ähnlich wie damals gewirkt, aber nicht so überwältigend. die menge war auch kleiner. ein attar – ein kräuterhändler – auf rahba kédima, der alte Platz’, verkaufte mir die bestandteile. es waren grösstenteils nachtschatten stellte ich viel später fest, als wir die samen zuhause im garten zu pflanzen grossgezogen hatten: datura stramonium, datura tatula, hyoscyamus albus, atropa belladonna, u. a. – und kein cannabis.

(Nachbemerkung von 2006: es war damals eine unbeschreibliche erfahrung. sie prägte sich in erinnerung und bewusstsein – ist immer noch nicht in wörter zufassen: es hat sich gezeigt und es hat mein leben danach grundlegend mitgestaltet.)

 

Bücher von herman de vries (Auswahl)

1989 natural relations – eine skizze, verlag für moderne Kunst

1993 gute hoffnung – ohne gegensätze, Kunstverein Ruhr e. V.

1998 aus der wirklichkeit, Stadthaus Ulm

2009 all this here, Stiftung Museum Schloss Moyland

2015 Rauschpilze: Märchen – Mythen – Erfahrungen, Nachtschatten Verlag (zusammen mit Wolfgang Bauer und Katja Redemann)

2019 all all all – Werke 1957-2019, De Gruyter/Deutscher Kunstverlag

 

Zitierte Literatur

Müller-Ebeling, Claudia (2016), «natur ist sich selber genug». herman de vries – der weise Psychonaut vom Steigerwald, Lucy’s Rausch 4: 36-41.