Lavendel – eine oft übersehene psychotrope Pflanze

Lavendel – eine oft übersehene psychotrope Pflanze

Lavandula angustifolia: Behandlung von Unruhezuständen

Text: Fabian Pitter Steinmetz

Den echten Lavendel (Lavandula angustifolia) kennt man als kleine, duftende Zierpflanze, als Mittel gegen Motten im Kleiderschrank und natürlich auch als Zutat von Perfums und Kosmetik. Insbesondere die Lavendelfelder in der Provence sind ein beliebtes Motiv von Fotografen und Malern. Aber als psychotrope Pflanze ist der Lavendel trotz seiner Ubiquität kaum bekannt. Mich selbst brachte ein pharmazeutisches Präparat, welches ausschließlich Lavendöl enthielt und zur Behandlung von Unruhezuständen bei ängstlicher Verstimmung eingesetzt wird, auf die Idee, diesem Thema nachzugehen.

Lavendelöl, welches meist durch Wasserdampfdestillation hergestellt wird, enthält hauptsächlich Linalool und Linalylacetat (dem Essigsäureester des Linalools, welches im Körper ebenfalls Linalool freisetzt). Da jenes Öl und seine Bestandteile eine Zutat für zahlreiche Konsumgüter darstellen, gibt es eine ganz gute toxikologische Datenlage. Das Öl bzw. seine Hauptkomponenten können als Kontaktallergen wirken1, d.h. intensiven Hautkontakt sollte man tunlichst vermeiden. Jene Stoffe werden zwar in üblicher oraler Dosierung relativ gut vertragen, dennoch sollte man direkt vor dem intensiven Geruch warnen, der bei oralem Konsum aus allen Poren emporsteigen kann. An dieser Stelle rate ich natürlich von nicht medizinisch indizierten Selbstversuchen ab. Insbesondere warne ich vor möglichen Wechselwirkungen bei hohen Dosierungen, wenn zeitgleich andere Medikamente genommen werden.

In älteren Tierversuchen, die ich beruflich aus Gründen der Risikobewertung konsultiere, fiel mir auf, dass öfters Verhaltensauffälligkeiten beschrieben wurden, die mich an die Wirkung von Benzodiazepinen (z.B. Diazepam) erinnern.2 Es sollte aber noch einige Jahre dauern, bis das Wirkprinzip entdeckt wurde. Erst 2017 wurden verschiedene Oxidations- und Stoffwechselprodukte des Linalools untersucht und ihre Wirkung auf den GABAA-Rezeptor bestätigt.3 Die Bindung mit diesem Rezeptor erklärt die Wirkung vieler beruhigender, entspannender und krampflösender Stoffe wie Benzodiazepine, Alkohol, GHB, Barbiturate etc.

Interessanterweise gibt es einige in-vivo-Studien, die sedative Wirkungen bei Inhalation beschreiben.2,4 Ob Lavendelblüten über den Vaporizer konsumiert eine ausreichende Dosierung darstellen, ist die eine Frage – ob man sich diesem intensiven Aroma überhaupt aussetzen möchte, die andere. Generell ist die Wirkung im Menschen bei oraler Dosierung etwas besser belegt als die Wirkung bei Inhalation.5 Spannend ist in diesem Zusammenhang aber dennoch, dass Linalool eines der wichtigsten Terpenoide von Cannabis darstellt.6 Dies könnte natürlich beim sogenannten „Entourage-Effekt“, also der Tatsache, dass die einzelnen Stoffe im Cannabis synergetisch wirken, eine wichtige Rolle spielen.

Als alter Antiprohibitionist sage ich manchmal aus Spaß, dass, wenn man damals Lavendel statt Hanf verboten hätte, vielleicht Lavendel das Kraut der Hippies und der 68er-Bewegung geworden wäre. Vielleicht würden dann heutzutage hochgezüchtete Lavendel-Strains in Grow-Zelten angebaut werden, man würde sich eventuell mit Lavendel-Extrakten nach einem anstrengenden Arbeitstag oder einem ebenso anstrengenden LSD-Trip in den Schlaf paffen und wahrscheinlich würde ein anderer intensiver Geruch zu unnötiger Polizeigewalt führen.

Lavendel gehört mit Sicherheit nicht zu den Pflanzen mit einer besonders spektakulären Wirkung. Dennoch sollte uns der tägliche Kontakt zu dieser Pflanze, egal ob im Vorgarten oder in der Seife, daran erinnern, dass wir stets von psychotropen Stoffen umgeben sind und dass einer „drogenfreien Welt“ nicht nur der Rausch und wertvolle Medizin sondern auch einige Gerüche fehlen würden.

Quellen:

1 ECHA (2021). Substance Information on Linalool. https://echa.europa.eu/substance-information/-/substanceinfo/100.081.783 (Zuletzt aufgerufen am 04.12.2021)

2 Buchbauer G et al. (1991). Aromatherapy: evidence for sedative effects of the essential oil of lavender after inhalation. Z Naturforsch C J Biosci 46(11-12): 1067-1072.

3 Milanos S et al. (2017). Metabolic products of linalool and modulation of GABAA receptors. Front Chem 5: 46.

4 Linck VM et al. (2009). Inhaled linalool-induced sedation in mice. Phytomedicine 16(4): 303-307.

5 Donelli D et al. (2019). Effects of lavender on anxiety: A systematic review and meta-analysis. Phytomedicine 65: 153099.

6 Ibrahim EA et al. (2019). Analysis of terpenes in Cannabis sativa L. Using GC/MS: Method development, validation, and application. Planta Med 85(5): 431-438.