“Rauschgift-Lagebild” in Deutschland?

“Rauschgift-Lagebild” in Deutschland?

Offener Brief an Daniela Ludwig

Am 27. Juli 2021 stellte die Drogenbeauftragte Deutschlands Daniela Ludwig (CSU) gemeinsam mit dem Chef des Bundeskriminalamts (BKA) das «Rauschgift-Lagebild 2020» vor. Als Reaktion auf dieses wie üblich mit überwiegend prohibitionistischer Rhetorik aufgeblasene Event entschied sich das antirepressive Netzwerk des Schildower Kreises dazu, einen offenen Antwortbrief auf die «Rauschgift-Lagebesprechung» zu verfassen:

Ein offener Brief von Mitgliedern des Schildower Kreises an die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig

Mit großem medialem Aufwand haben sich am Dienstag, den 27.07.2021, in Berlin der BKA-Präsident Holger Münch und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Daniela Ludwig zur sogenannten „Rauschgiftlage Deutschland 2020“ [1] geäußert.

Dabei wurde betont, dass im zehnten Jahr in Folge ein Anstieg der „Drogendelikte“ zu verzeichnen sei. Münch: „Die Rauschgiftkriminalität steigt seit Jahren an und gewinnt weiter an sicherheitspolitischer und gesellschaftlicher Bedeutung.“ Tatsächlich handelt es sich bei dieser sogenannten „Rauschgiftkriminalität“ zu 85% um Konsumdelikte, die in den letzten Jahren auch weitaus stärker angestiegen sind als Handelsdelikte – angestiegen ist also vor allem die Kriminalisierung von Drogen Konsumierenden.

Angesichts der Zahlen, die das Scheitern der repressiven Drogenpolitik eindeutig dokumentieren, wäre eine sachbezogene und (selbst)kritische Haltung zu erwarten. Stattdessen üben sich Herr Münch und Frau Ludwig in Abgrenzung gegenüber wissenschaftlichen und politischen Positionen, welche die Prohibition hinterfragen.

Die Deutsche AIDS-Hilfe äußerte dazu: „Daniela Ludwig zeigte sich auf der Pressekonferenz am Dienstag leider teils sehr verschlossen gegenüber Ansätzen einer modernen und wissenschaftlich untermauerten Drogenpolitik. Die überfällige Diskussion einer Entkriminalisierung des Konsums zugunsten einer staatlich regulierten Abgabe von Substanzen denunzierte sie als «Lifestyle-Debatten»“. [2]

Auf die Herausforderungen durch eine vitale, flexible und expandierende Drogenschattenwirtschaft hatten diese beiden staatlichen Vertreterinnen bzw. Vertreter keine Antwort. Vielmehr steigerte sich Frau Ludwig in Abgrenzung zu Entkriminalisierungs- und Regulierungsmodellen geradezu in Drogenkriegsrhetorik hinein: Sie forderte trotz des offensichtlichen Versagens der repressiven Drogenpolitik eine Aufrüstung im Drogenkrieg. So müsse die Bekämpfung der Drogenkriminalität oberste Priorität der polizeilichen Arbeit werden, sowohl organisatorisch, finanziell wie personell.

Eine Akzentsetzung im Bereich Drogenhilfe als oberste Priorität, sowohl organisatorisch, finanziell als auch personell, ist bei Frau Ludwig hingegen nachrangig. Und wissenschaftlich fundierten Argumente ist sie kaum zugänglich. So wurde im Juni 2020 durch die #mybrainmychoice-Initiative zusammen mit Personen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft eine Kampagne gestartet, die forderte, dass die deutsche Drogenpolitik durch eine transdisziplinäre und unabhängige Kommission evaluiert werden solle. [3] Dieser Initiative hatte Frau Ludwig ausdrücklich eine Absage erteilt. [4]

Die fehlende fachliche Kompetenz der Pressekonferenz konnte leider auch an weiteren Stellen der Veranstaltung wahrgenommen werden. Allein mit der Verwendung des Begriffes „Rauschgift“, der eher im Bereich Massenmedien und Propaganda denn im wissenschaftlichen Kontext (leider aber auch immer noch im Polizeijargon) Verwendung findet, disqualifizieren sich Herr Münch und Frau Ludwig selbst.

Wesentliche Faktoren wurden bei der Pressekonferenz schlicht ausgeblendet:

Aus Sicht der Ökonomie erweist sich die staatliche Politik der „Drogenbekämpfung“ als wesentlicher Motor der illegalen Drogenwirtschaft: Sie kann gerade wegen der Illegalität eine extrem hohe Gewinnspanne erzielen. Nach Ansicht der beiden Wirtschaftswissenschaftler Storti und de Grauwe [5] begünstigt die aktuelle globale Entwicklung die Bedingungen für den illegalen Drogenhandel. Der Versuch der Behörden, das Angebot von Drogen durch staatliche Repression zu begrenzen, scheitert an den Realitäten, muss daran scheitern.

Eine Politik, die auf Ausgrenzung, Stigmatisierung und Kriminalisierung drogengebrauchender Menschen setzt, kommt immer wieder in Widerspruch zu den Werten von Demokratie und Menschenrechten.

Mit einer Steigerung polizeilicher Maßnahmen, der grundsätzlichen Ablehnung alternativer Ansätze in der Drogenpolitik und einer Ignoranz gegenüber sachbezogenen Debatten und wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskussionen werden wir weder den demokratischen Ansprüchen unserer Gesellschaft gerecht, noch können wir adäquat den Herausforderungen der real existierenden Drogenwirklichkeit begegnen. Polemik und Drogenkriegsrhetorik werden das bestehende Leid nur verstärken.

Es wird höchste Zeit, den Posten einer/eines Drogenbeauftragten mit einer Person zu besetzen, die dieser Aufgabe sowohl fachlich, politisch als auch menschlich gewachsen ist.

Ansprechpartner für dieses Schreiben:

Michael Kleim (michael.kleim@gmx.de), Prof. Dr. Helmut Pollähne (pollaehne@strafverteidiger-bremen.de), Dr. Bernd Werse (werse@em.uni-frankfurt.de)

 

Der Schildower Kreis ist ein interdisziplinäres Netzwerk von Expertinnen und Experten und setzt sich seit langem für Entkriminalisierung und legale Regulierung psychoaktiver Substanzen ein. Zahlreiche namhafte Intellektuelle darunter Juristen, Geisteswissenschaftler und Ärzte setzen sich mittels des Dachverbandes für eine auf die Mündigkeit des Individuums zugeschnittene, menschenrechtswürdige Drogenpolitik ein. Die Gruppe war bereits Träger zahlreicher Tagungen, Symposien und anderer Veranstaltungen zu verschiedenen Thematiken rund um Prohibition und Drogenverbot.