Stanislav Grof: An die LGBTQ+-Gemeinschaft und die Weltöffentlichkeit

Portrait von Stanislav Grof

Stanislav Grof: An die LGBTQ+-Gemeinschaft und die Weltöffentlichkeit

Zweiter Offener Brief

Wir veröffentlichen hier den zweiten offenen Brief Stanislav Grofs an die an die LGBTQ+-Gemeinschaft und die Weltöffentlichkeit in der deutschen Übersetzung des originalen Wortlauts.

 

Anfang dieses Jahres veröffentlichte MAPS meinen offenen Brief an die LGBTQ+-Gemeinschaft und die Weltöffentlichkeit, in dem ich mich für Passagen meiner früheren Schriften entschuldigte, in denen Homosexualität als psychische Störung beschrieben wurde. Wie im offenen Brief dargelegt, basierten diese Passagen auf meiner psychoanalytischen Ausbildung in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren – einer Zeit, in der Homosexualität als psychische Erkrankung galt und gleichgeschlechtliche Handlungen in vielen Ländern, darunter der Tschechoslowakei und den Vereinigten Staaten, als Straftat eingestuft wurden. In dieser Zeit konnten Überweisungen zur psychologischen Behandlung in manchen Fällen dazu beitragen, dass Menschen einer Inhaftierung wegen homosexuellen Verhaltens entgingen. Selbst unter diesen Umständen habe ich meine Arbeit jedoch nie als „Behandlung“ von Homosexualität beworben oder verstanden.

Mir wurde mitgeteilt, dass meine frühere Stellungnahme von einigen als ausweichend empfunden wurde. Umso klarer möchte ich betonen: Ich übernehme die volle Verantwortung für das Leid, das meine Texte verursacht haben, und unterstütze die Entfernung pathologisierender Passagen über Homosexualität aus künftigen Ausgaben meiner Bücher. Es war grundlegend falsch, gleichgeschlechtliche Anziehung als „Störung“ oder „Abweichung“ zu bezeichnen, und ich bedaure zutiefst den Schmerz, den diese Worte verursacht haben. Seit Langem bin ich überzeugt, dass LGBTQ+-Identitäten ein natürlicher, gültiger und schöner Teil menschlicher Vielfalt sind. Ich unterstütze ausdrücklich die Bemühungen, die Zukunft der psychedelischen Therapie inklusiv und einladend für alle zu gestalten.

Als Reaktion auf meinen offenen Brief veröffentlichten Alex Belser, PhD; Andrea Ens, PhD; Bill Brennan, PhD; Dee Dee Goldpaugh, LCSW; und Jeffrey Guss, MD eine Antwort auf den offenen Brief an Dr. Stan Grof. Ich hatte die Gelegenheit, die darin enthaltenen Argumente mit Freund:innen und Kolleg:innen zu besprechen.

Ich verstehe nun besser das Ausmaß des persönlichen Schmerzes, den einige Menschen beim Lesen meiner Darstellung von Homosexualität als Pathologie empfanden. Für jene LGBTQ+-Personen, die meine Arbeit als Wegweiser zu Selbstentdeckung und persönlicher Freiheit erlebt haben, kann ich die Gefühle von Verletzung und Verwirrung vollkommen nachvollziehen, die durch die Charakterisierung ihrer natürlichen Orientierung als Krankheit entstanden.

Mir wurde bewusst, dass die American Psychiatric Association Homosexualität bereits 1973 aus dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) gestrichen hatte – und dennoch wurden einige meiner Werke seither mehrfach mit den betreffenden, unangemessenen Passagen nachgedruckt. Ich bin dankbar, dass meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt wurde, dass diese Abschnitte in neuen Ausgaben mancher meiner Bücher erneut erschienen sind – obwohl ich sie längst hätte entfernen sollen. Mein jüngstes Buch Way of the Psychonaut enthält diese Passagen nicht, und ich verpflichte mich, sie in allen künftigen Nachdrucken meiner älteren Werke zu ändern. Zurzeit arbeiten wir auch an einer neuen, korrigierten Ausgabe von LSD Psychotherapy.

Im Laufe der Jahre wurde in verschiedenen Stellungnahmen und Schriften – darunter auch in der Antwort auf den offenen Brief – ein falsches Narrativ über die Natur meiner Arbeit und meines Charakters konstruiert. Während ich den Schaden anerkenne, den meine Schriften verursacht haben, sehe ich mich dennoch veranlasst, zusätzlichen Kontext zu liefern und diesen falschen Erzählungen entgegenzutreten.

Die Antwort auf den offenen Brief behauptet, mein ursprüngliches Schreiben gebe den Zeitraum, in dem die entsprechenden Texte entstanden, unzutreffend wieder. Wie bereits dargelegt, begann ich in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren – entsprechend der damaligen DSM-Klassifizierung – Homosexualität als Pathologie zu beschreiben, als ich psychologische Diagnosen im Kontext meiner erweiterten Kartographie des Bewusstseins betrachtete. Leider habe ich aufgrund von Neuauflagen durch Verlage und der Anforderungen meines beruflichen Lebens die Nachdrucke nicht aufmerksam genug überprüft und angenommen, dass meine Bücher im zeitlichen Kontext ihres ursprünglichen Erscheinens gelesen würden. In einigen neueren Veröffentlichungen habe ich Texte aus älteren Arbeiten übernommen, ohne sie ausreichend zu überarbeiten. Dabei habe ich übersehen, welchen Schaden diese Passagen für Einzelne und für das Fachgebiet der Psychologie anrichten konnten. Das war ein ernsthaftes Versäumnis. Und dafür entschuldige ich mich aufrichtig.

Besonders schmerzlich für mich, meine Familie und meine Freund:innen war der Vorwurf von Belser und Kolleg:innen, ich hätte Vorurteile gegenüber LGBTQ+-Menschen gehabt – bis in die Gegenwart hinein. Das entspricht nicht der Wahrheit. In den betreffenden Schriften ging es mir darum, im Rahmen der neuen Psychologie, die ich entwickelte, jene Diagnosen zu verstehen, die zu jener Zeit in der Psychiatrie, in der ich ausgebildet wurde, gängig waren. Ich versuchte, Homosexualität ebenso wie viele andere menschliche Verhaltensweisen und Orientierungen psychologisch zu begreifen – im Kontext meiner Arbeit mit nichtalltäglichen Bewusstseinszuständen. Auch wenn diese Unterscheidung für Menschen, die mich oder meine Arbeit nicht kennen, schwer nachvollziehbar sein mag, war mein Ansatz gegenüber allen Menschen stets von bedingungsloser Wertschätzung und Respekt geprägt. Das galt auch für die Hunderten, wenn nicht Tausenden LGBTQ+-Personen, mit denen ich im Lauf meines langen Berufslebens gearbeitet habe.

In der Antwort auf den offenen Brief und an anderen Stellen behaupten Belser et al., meine Arbeit stelle eine Form von Konversionstherapie dar – also eine Therapie mit dem (ausgesprochenen oder impliziten) Ziel, jemanden von einer LGBTQ+-Orientierung zu einer heterosexuellen Orientierung zu bekehren. Dieses Argument wurde erstmals im Consensus Statement Condemning Psychedelic Conversion Therapy and Suggestions for Addressing Ongoing Harms Against LGBTQIA+ People in Psychedelic Research and Therapy formuliert, das Unterstützende sucht und meinen Namen – gemeinsam mit anderen – nennt als jemanden, der „psychedelische Konversionstherapie praktiziert oder LGBTQIA+-ablehnende Praktiken propagiert hat, wodurch erheblicher Schaden entstand.“

Diese Behauptung, die meinen Namen mit „Konversionstherapie“ verknüpft, stellt meine Arbeit in irreführender Weise dar und konstruiert ein falsches Narrativ, das mir persönlich und dem Fachgebiet der Psychologie schadet. Mein Ansatz basiert darauf, Menschen zu ermutigen, ihre individuelle innere Heilkraft in einem passenden Rahmen zu entdecken, einen holotropen Bewusstseinszustand einzuladen und der Führung dieser inneren Intelligenz auf dem Weg zur Ganzheit zu folgen. Es widerspricht meinem Wesen und dem Kern meiner Arbeit, Menschen verändern zu wollen – basierend auf einer vorgefassten Agenda oder Ideologie. Unsere Ausbildungsprogramme verlangen ausdrücklich, dass unsere Begleiter:innen keine Agenda, keine Dogmen und nicht einmal ihre eigenen Überzeugungen auf die Menschen übertragen, die wir in unserer Arbeit unterstützen. Die Behauptung, ich hätte Konversionstherapie betrieben, zeugt von einem grundlegenden Missverständnis meines Ansatzes. Zu keinem Zeitpunkt in meiner Laufbahn habe ich Konversionstherapie befürwortet oder praktiziert.

Die große Mehrheit der LGBTQ+-Menschen, mit denen ich über Jahrzehnte hinweg arbeitete, suchte persönliche Entwicklung oder eine professionelle Ausbildung – ihre sexuelle Orientierung spielte dabei keine Rolle. Ich kann mich an nicht mehr als drei oder vier Personen erinnern, und das zu Beginn meiner Laufbahn, bei denen Homosexualität als Problem thematisiert wurde. Dabei ging es im Zusammenhang mit Ängsten oder Depressionen und in mindestens einem Fall um selbst beschriebene Zwangsverhalten, die riskant für die betreffende Person waren.

Leider hat die Darstellung von Homosexualität als DSM-kategorisierte Pathologie in einigen meiner Bücher dazu geführt, dass der Eindruck entstand, ich hätte Homosexualität als zu heilendes Problem betrachtet – und jede Arbeit mit mir hätte diesem Ziel gedient. Ich sehe meine Verantwortung für diesen Eindruck, auch wenn ich nie jemanden mit dem Ziel „behandelt“ habe, seine sexuelle Identität zu verändern. Diese Vorstellung von „Behandlung“ zeugt von Unkenntnis sowohl meines Ansatzes als auch meines Charakters.

Ich verurteile jeglichen Versuch, mit psychedelischen Substanzen – oder mit irgendeiner Form von Therapie – die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität eines Menschen verändern zu wollen, auf das Schärfste. Ich unterstütze die wichtige Arbeit, jene Aspekte der Geschichte psychedelischer Forschung zu beleuchten, die einer Revision und Heilung bedürfen. Ich empfehle jedoch, bei der Darstellung dieser Geschichte mit größerer Differenzierung zwischen sehr unterschiedlichen Praktiken früherer Forschender vorzugehen – der historischen Genauigkeit und der redlichen Berichterstattung zuliebe – und weniger eine vereinheitlichende Argumentation zu konstruieren, um die eigene Arbeit zu untermauern. Ich fordere Belser et al. nachdrücklich auf, keine öffentlichen Aussagen mehr zu machen, die mich mit Konversionstherapie in Verbindung bringen.

Mit 94 Jahren lassen meine aktuellen Lebensumstände es nicht zu, ausführlich auf die einzelnen Argumente und Verweise auf meine Arbeit in der Antwort auf den offenen Brief einzugehen. Grundsätzlich widerspreche ich jedoch der Darstellung, ich hätte zwangsläufig Konversionstherapie betrieben, weil Menschen mit ihrer Sexualität als Teil ihres Prozesses in die Arbeit mit nichtalltäglichen Bewusstseinszuständen kamen.

Aufgrund meines Alters und meiner Situation ist dies mein letzter persönlicher Beitrag zu diesem Thema. Ich überlasse die weitere Diskussion jenen, die mich und meine Arbeit persönlich kennen.

Ich schreibe diesen Brief mit großem Respekt gegenüber allen Mitgliedern der LGBTQ+-Gemeinschaft – und ich bitte darum, in künftigen öffentlichen Äußerungen mit demselben Respekt behandelt zu werden.

Möge unser gemeinsames Feld weiterhin auf Mitgefühl, Respekt und Liebe für alle Menschen gegründet sein.

Stanislav Grof