Therapeutische Wirkungen Ayahuasca-inspirierter Formulierung
kontrollierte Studie an gesunden Probanden
Text Helena Aicher
In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat der aus dem Amazonas stammende psychedelische Pflanzensud Ayahuasca unter anderem aufgrund seiner potenziellen therapeutischen Anwendungen bei psychiatrischenn Erkrankungen wie Depressionen vermehrt wissenschaftliches Interesse auf sich gezogen1–3.
Ayahuasca beinhaltet die Liane Banisteriopsis caapi und zusätzlich meist weitere Zutaten wie Psychotria viridis oder Diplopterys cabrerana, die verschiedene 𝛽-Carboline enthalten und unter anderem als selektive reversible Monoamin-Oxidase-Hemmer (MAO-I) fungieren4. N,N-Dimethyltryptamin (DMT), ein strukturelles Analogon von Serotonin, wirkt agonistisch an mehreren Serotonin- und weiteren Rezeptoren5. Im Vergleich zu intravenös oder inhalativ verabreichtem DMT, das eine schnelle und intensive Wirkung hervorruft6–9, setzt die Wirkung von oral eingenommenem DMT in Ayahuasca-Präparaten allmählich ein und dauert etwa 4 bis 6 Stunden an10,11.
Die durch Ayahuasca induzierten transienten introspektiven Zustände sind durch Veränderungen in der Wahrnehmung, im Denken und in den Emotionen; körperliche Phänomene wie beispielsweise Zittern; traumähnliche Visionen; biographische Erinnerungen und selbstreflexive Zustände sowie transpersonale, spirituelle Erfahrungen geprägt, die zu tiefgreifenden psychologischen und existenziellen Einsichten führen können. Diese Erfahrungen könnten die Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen steigern10,12–15.
Im Gegensatz zu Ayahuasca bestehen bei der Nutzung anderer psychedelischer Verbindungen zu psychotherapeutischen Zwecken teilweise Herausforderungen, die die Implementierung im hiesigen Gesundheitssystem erschweren. Beispielsweise hat LSD eine deutlich längere Wirkdauer als Ayahuasca. Letzteres induziert auch nach mehrfacher Anwendung keine Toleranz (wie es beispielsweise bei Psilocybin der Fall ist), es gilt als sicher und zeigt kein Abhängigkeitspotenzial (wie beispielsweise Ketamin)16–18. Dennoch hat auch Ayahuasca Effekte, welche die Integration von Ayahuasca in die biomedizinische Forschung und klinische Praxis erschweren. Dazu gehört beispielsweise das durch die Einnahme von Ayahuasca verursachte Erbrechen, das zwar in indigenen und neo-schmanischen Kontexten als heilender Wirkfaktor verstanden wird, aber im westlichen Gesundheitssystem als Nebenwirkung unerwünscht ist19,20.
Deshalb testen wir an der Universität Zürich (Forschungsgruppe Psychedelic Research and Therapy Development) in Studien eine Formulierung, die DMT und den MAO-I Harmin enthält21. Eine dieser Studien evaluierte die subjektiven akuten, post-akuten und langfristigen Wirkungen dieser Formulierung im Vergleich zu alleinigem Harmin und einem Placebo durch eine Stichprobe an 31 gesunden männlichen Probanden im Einzelsetting. Mit einem inkrementellen Dosierungsschema wurden 100 mg Harmin (bukkal) und kumulativ bis zu 100 mg DMT (nasal) verabreicht. Die Studie konzentrierte sich auf die Untersuchung von Surrogatmarkern für potenzielle psychotherapeutische Wirkfaktoren und psychologische Veränderungsmechanismen22.
DMT – in Kombination mit Harmin – war der Hauptfaktor für die beobachteten Effekte, während Harmin allein nur geringe oder vernachlässigbare Wirkungen zeigte. Die akuten Effekte wiesen Ähnlichkeiten auf mit den subjektiven Erfahrungen, die durch Ayahuasca oder andere serotonerge Psychedelika wie Psilocybin induziert werden. Während der Akutwirkung berichteten Studienteilnehmer psychedelische und empathogene Erfahrungsqualitäten, sowie Attribute wie «Entspannung», «Loslassen», «Visionäre Erlebnisse», «Wohlgefallen». Die DMT/Harmin-induzierte Erfahrung führte zu subjektiven psychologischen Einsichten und war durch emotionalen Durchbruchserlebnisse charakterisiert. Für kathartische Erfahrungen, die oft im Zusammenhang mit Ayahuasca-Ritualen berichtet werden, sollen sowohl emotionale als auch kognitive Aspekte wichtig sein23,24. Entsprechend könnte die Kombination von psychologischen Einsichten und emotionalen Durchbruchserfahrungen ein wesentlicher Aspekt transformativer psychotherapeutischer Prozesse darstellen. Die Teilnehmenden bewerteten die Erfahrungen während der Studie rückblickend als persönlich und spirituell bedeutsam und berichteten überwiegend positive Langzeiteffekte. Es wurden jedoch keine signifikanten Veränderungen in Persönlichkeitsmerkmalen festgestellt. Erfreulicherweise gab es nach der Studie im Beobachtungszeitraum von bis zu vier Monaten auch keinen Anstieg psychopathologischer Symptome, was für die Abschätzung der Risiken der Intervention relevant ist. Die Ergebnisse legen nahe, dass die standardisierte DMT/Harmin-Formulierung eine intensive psychedelische Erfahrung induziert, die psychologisch sicher und gut verträglich ist und potenzielle psychotherapeutische Prozesse unterstützen könnte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die neue Ayahuasca-inspirierte DMT/Harmin-Formulierung bei gesunden Probanden eine psychedelische Erfahrung mit empathogenen Eigenschaften induziert, die psychologische Einsichten, emotionale Durchbruchserfahrungen und positive Langzeiteffekte bewirken kann. Ähnlich wie andere Psychedelika deuten die psychologischen Prozesse, die durch die kombinierte Verabreichung von DMT und Harmin moduliert werden, auf einen transdiagnostischen Wirkmechanismus hin, der das therapeutische Potenzial über spezifische psychiatrische Diagnosen hinaus für verschiedene psychische Gesundheitszustände erklären könnte. In diesem unterstützenden Studiensetting wurde ein günstiges psychologisches Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil beobachtet. Die phänomenologische Vielfalt, hohe Kontextsensitivität und Komplexität dieser Zustände, ihre zugrundeliegenden Mechanismen und potenziell therapeutischen Effekte bieten interessante Ansatzpunkte für zukünftige Forschungen, insbesondere mit der Frage der klinischen Anwendung bei Patientinnen und Patienten.
Info:
Ausführliche Informationen zum Hintergrund und der für den Artikel relevanten wissenschaftlichen Studienlage inklusive sämtlicher Referenzen, detaillierte Informationen zur Methodik und den Resultaten der Studie, sowie eine eingehende Diskussion der Ergebnisse im Kontext sind im öffentlich zugänglichen Originalartikel zu finden:
*Aicher Helena D., *Mueller Michael J., Dornbierer Dario A., Suay Dila, Elsner Claudius, Wicki Ilhui, Meling Daniel, Caflisch Luzia, Hempe Alexandra, Steinhart Camilla, Mueller Jovin, Von Rotz Robin, Kleim Birgit, Scheidegger Milan (2024). Potential therapeutic effects of an ayahuasca-inspired N,N-DMT and harmine formulation: a controlled trial in healthy subjects. Frontiers in Psychiatry(14). doi:10.3389/fpsyt.2023.1302559
*shared first authorship
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